Ich bin keine Künstlerin. Ich sehe mich nicht so. Ja, es wird Leute geben, die mir erzählen, dass ich doch sehr wohl Kunst mache. Aber nein. Ich mache Bilder. Ich weiß noch nicht einmal so recht, was Kunst eigentlich ist. Im allerbesten Falle sehe ich das, was ich mache, als Gebrauchskunst, aber es ist keine echte Kunst. Das macht nichts, weil ich sowieso nie “Kunst” machen wollte.
Ja, sicher, der Wunsch war irgendwann da, vor Urzeiten. Nach reiflicher Überlegung – diese typische Phase nach dem Schulabschluss, in der man nicht genau weiß, wo es hingehen soll, aber sich langsam entscheiden muss – bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich Kunst liebe. Ich kann nicht ohne Kunst leben, sie macht mich glücklich. Aber: Ich wollte nicht selbst kreativ werden.Ich habe mich beworben; sowohl an der Kunstakademie als auch an irgendeiner Hochschule für Design. Als meine (zugegebenermaßen miserablen) Mappen abgelehnt wurden, war ich erleichert. Ganz tief, innen drin. Ich habe das nicht zugegeben, denn das wäre so gewesen, als wäre ich einer Meinung mit meinen Eltern gewesen, die mir gepredigt haben, dass ich doch besser was “Anständiges” lernen solle. Vielleicht kommt daher meine Aversion, Künstlerin zu sein: Nämlich die tief innen verankerte Ansicht, dass Kunst ein überflüssiger Luxus ist. Aber das ist jetzt müßig, darüber nachzudenken. Letzten Endes war es eine feige Entscheidung: Ich wollte mich nie dem Druck aussetzen, kreativ sein zu müssen, um Anerkennung kämpfen zu müssen, Kritik ertragen zu müssen.
Jedenfalls liebe ich Kunst, es hat mich aber noch nie dazu getrieben, Kunst ernsthaft zu betreiben. Ich zeichne gerne, male gerne, aber Kreativität und Originalität sind nicht wirklich mein Ding. Ich wollte noch nie ernsthaft einen Roman schreiben. Ja, ich wollte gerne einen Roman geschrieben haben, aber mich nicht ernsthaft dem Prozess des Schreibens aussetzen. Ganz ehrlich: Es wäre eher die Eitelkeit gewesen, ein Buch veröffentlicht zu haben als das echte Bedürfnis, ein Buch zu schreiben.
Und trotzdem bin ich bei der Fotografie gelandet. Ich liebe es, Fotos zu machen. Wirklich. Ich liebe es, mit Licht und Schatten zu spielen, mit Perspektiven und Schönes einzufangen. Menschenfotografie ist mir übrigens vollkommen gleichgültig. Es ist ganz spaßig, aber interessiert mich im Grunde nicht. Natur, Stilleben, Reisen, Essen – das sind die Themen, bei denen ich gelandet bin. Es war für einige Jahre ausgesprochen befriedigend, zu experimentieren, zu sehen, wie sich meine Bilder verändern.
Bin ich besser geworden? Sicherlich. Technisch habe ich einiges dazu gelernt.
Mache ich Kunst? Nö.
Mache ich gute Fotos? Nö, eher Mittelmaß. Und das ist okay für mich. Die Gesellschaft wird dir sagen, dass du über dich hinaus wachsen musst, Dass Mittelmaß etwas Schreckliches ist. Ehrgeiz. Produktivität. Über dich hinauswachsen. Das frustriert mich zwar doch manchmal, dass ich nicht über das Label “Mittelmaß” hinauskomme, aber ganz ehrlich: Wie viele von uns sind künstlerische Genies? Dieses Vergleichen mit anderen ist tödlich. Es kann aufbauend sein, sich andere Fotografen, Künstler, Bilder zum Vorbild zu nehmen, kann aber auch gleichzeitig zerstörerisch sein, weil man leicht seine eigene Sprache vergisst.
Aber jetzt bin ich komplett vom Thema abgekommen. Typisch für mich…. Ich wollte also nie Künstlerin sein. Ich bin bei der Foodfotografie gelandet, in der Stockfotografie. Ja, ich weiß. Stockfotografie wird nicht ernst genommen. Ist keine echte Fotografie. Aber ganz ehrlich: Es passte mir. Ich hatte sehr viel Freiraum. Zeitlich passte es. Wenn man ein kleines Kind, aber keine Kinderbetreuung hat, ist man froh, wenn man eine Beschäftigung hat, die man um die Kinderbetreuung herum planen kann. Foodfotografie war insofern praktisch als dass ich das Set aufbauen konnte, wann ich wollte, Pause machen konnte, es nicht allzu zeitintensiv war und ich notfalls alles stehen und liegen lassen konnte, um den Familienkram zu erledigen, falls es notwendig wurde.
Nur ist es mit der Zeit zum Frust geworden. Ich denke, das liest man offensichtlich hier heraus. Ich wollte keine Künstlerin sein, richtig. Aber ich wollte zumindest meine Kreativität etwas ausleben. Etwas experimentieren, Neues gestalten, selbst wenn es von anderen schon 1000 Mal gemacht wurde. Aber das ist mit der Zeit immer weniger geworden. Mein Kopf ist leer geworden. Der Zwang, immer produktiver zu sein, in jeder Minute des Tages, immer mehr, immer besser produzieren zu müssen… ich kann das alles nicht mehr. Mein Kopf ist so voll mit To-Do-Listen, mit Terminen, mit Admin-Aufgaben, dass die Kreativität, die ja, wie wir wissen, nichts weiter als überflüssiger Luxus ist, unter den Tisch fällt und mit dem Füßen am Boden zertrampelt wird.
Die Motivation ist daher ins fast Bodenlose gesunken und ich bin an dem Punkt, den man mir ganz am Anfang meiner Foto-Karriere vorgeworfen hatte: nämlich, dass ich feststecke. Ja, tatsächlich hat man mir schon nach einem Jahr vorgeworfen, dass ich feststecke und Änderungen wagen müsse. Nach einem Jahr? Zu einem Zeitpunkt, an dem ich immer noch dabei war, Kleinkind und Kamera unter einem Hut zu bringen? Das war lächerlich. Wann ich das Gefühl bekomme, festzustecken, entscheide immer noch ich!
Aber jetzt könnte es so weit sein.
Ich habe aber nicht vor, aufzugeben. Dazu liebe ich die Fotografie zu sehr. Es handelt sich lediglich um ein kreatives Tief, davon bin ich überzeugt. Ich weiß nicht einmal, was ich noch will. Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei, mir in der Woche ein, zwei Stunden frei zu nehmen, was anderes zu machen, um den Kopf frei zu kriegen. Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei, zu experimentieren. Ist ja Zeitverschwendung. Unproduktiv. Ich will aber nicht, dass es so ist. Dabei habe ich das früher ständig gemacht und dabei immer mehr Spaß an der Fotografie gewonnen. Jeden Tag Alltag, jeden Tag Routine – das tut einfach nicht gut, glaube ich.
Daher habe ich mir vorgenommen, einen Kreativitätsbooster in den Alltag einzubauen: Es gibt “The Artist’s Way” Ein Selbsthilfebuch? Ein Selbsthilfebuch! Ausgerechnet! Ich halte von diesen Büchern eigentlich nicht viel, die spirituelle Richtung, die dieses Buch nimmt, gefällt mir auch überhaupt nicht. Aber einige der Tipps sind gut. Einige der Maßnahmen könnten helfen, den Kopf freier zu kriegen. Ich will daher ab November anfangen. Ich bin gespannt und ich werde berichten.
Der zweite Kreativitätsbooster? Weniger Doomscrolling. Denn auch das Handy hat einen Einfluss. Es ist so einfach: Man nimmt das Gerät in die Hand, scrollt sich durch die Timeline und, ganz ehrlich, verschwendet eine Menge Zeit. Es ist nichts dagegen einzuwenden, am Handy oder Tablet zu sitzen. Aber es ist etwas dagegen einzuwenden, wenn man das Gerät in die Hand nimmt, um nicht denken zu müssen. Um nicht kreativ sein zu müssen, denn das ist anstrengend.





