Als ich ein Rezept für eine Erdbeer-Quinoa-veganer-Lachs-Himalayasalz-Eiscreme mit Avocado, Einhornglitzer und Feenstaub, aber ohne Eismaschine gelesen habe, hat mich ein gewisses Gefühl des Überdrusses überkommen. Ich meine: Wozu? Wozu so kompliziert? Wozu so überdrehte Rezepte mit Zutaten, die man kaum irgendwo bekommen kann? (Letztens erst ein Rezept gelesen, das nach fermentierten schwarzen Bohnen und Doubanjiang schrie. Außerdem liquid smoke. Vor dem Rezept die Lebensgeschichte des Autors in dreiteiliger Romanform, die Entstehungsgeschichte des Rezepts aus grauer Vorzeit und die Seelenqualen des Rezeptentwicklers (-in) bei der überaus wichtigen Entscheidung, ob ein oder zwei Tropfen Sesamöl die richtige Menge seien. Eine Entscheidung. die der/die/das Rezeptentwickler(in)(dingsbums) erst nach zwölf Jahren Meditation in einem Kloster auf dem mondbeleuchteten, beschneiten Hängen des Himalaya fällen konnte.
Ihr kennt das.
Und plötzlich bin ich sehr, sehr müde geworden. Ich will diesen Quatsch grad nicht. Mag sein, dass es ganz toll schmeckt, aber was für einen Sinn machen Zutaten, die nicht in unserem Laden nebenan zu bekommen sind? Wozu muss alles so überdreht sein? Auf gezwungene Art originell? Um noch weiter aus der Menge herauszustechen? Um aufzufallen? um zu zeigen, wie kreativ man in der Küche ist? Klar, irgendwann werde ich oben erwähntes Rezept nachkochen, zumal der Mann tatsächlich Doubanjiang in der großen Stadt aufgetrieben hat. Aber jetzt grad eher nicht. Mir ist nicht so danach.
Die Sehnsucht nach Einfachheit kam auf. Sachen, die man nicht mit komplizierten Zutaten und nach noch komplizierteren Rezepten zaubern muss, sondern Sachen, die Omma gemacht hat. Drei, vier Zutaten, Kochen, fertig. Schmeckt immer, lässt sich am nächsten Tag noch essen, regionale Zutaten sind weitestgehend möglich. Was will man mehr? Sprich: Erbsensuppe, Linsensuppe, Apfelpfannkuchen, Pickert, ein x-beliebiges Gemüse, untereinander mit Kartoffeln und irgendeiner Beilage. Solche Sachen halt. Da brauche ich nicht lange in Rezepten zu wühlen, das koche ich wie Omma es mir beigebracht hat. Grad ist übrigens Grünkohlzeit. Mein Zweitlieblingsgemüse. Mein Lieblingsgemüse ist Stielmus, das hier keiner kennt, bzw. das überall kaum noch jemand kennt. Ein zu Unrecht vergessenes Gemüse. Ich werde dieses Jahr mal versuchen, das im Garten zu setzen. Vielleicht wird es was.
Aber zurück zum Thema Grünkohl. Das gab es diese Woche, der Mann war begeistert und das Kind wurde bei dem Anblick (und Geruch) noch kränker als es ohnehin schon war.

Das Rezept. Hab ich von Omma. Hier der große Tag, an dem meine Oma endlich bereit war, ihr Geheimrezept zu teilen. So (oder so ähnlich… oder auch nicht so ähnlich…) lief die Unterhaltung ab:
Ein grauer Tag im November, nach dem ersten Frost.
Ich: Omma, du machst Grünkohl? Gib mir mal das Rezept, das schmeckt immer so gut bei dir.
Omma: Ach Kind, ein Rezept gibt es nicht. Schau zu, ich zeig es dir.
Ich: Na gut.
Omma: Also, Kind, zuerst musst du den Grünkohl putzen.
Omma nimmt mich raus in den Garten, lässt eiskaltes Wasser in einen Eimer und lässt mich den Grünkohl waschen. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal, Wasser wechseln, noch mal waschen und noch mal, bis sie zufrieden ist. Der Grünkohl ist aus dem Garten und sehr sandig. Wir gehen wieder rein. Meine Hände sind eiskalt und taub. Habe ich überhaupt noch Hände?
Omma: So, jetzt rupfst du die Blätter von den Stielen, so, ich zeig dir, wie das geht.
Omma rupft geschickt die Blätter von den groben Stielen runter. Ich helfe ihr, aber erstens ist sie schneller und zweitens schaffe ich es immer, die Blätter zu zerreißen.
Omma: Jetzt musst du die Blätter schön kleinschneiden. Ich hole schon mal den großen Topf und mache das Fett heiß. Da muss gutes Fett rein.
Ich: Ach, welches denn?
Omma: Na, das was da ist. Ich hab noch was von gestern, als ich Bratwurst gemacht habe.
Ich: Ohhhkay…
Omma: … und dann noch ein Stück Räucherspeck.
Ich: Iiiihhh!
Omma: Stell dich nicht an, ohne das schmeckt es nicht.
Ich: Bäh. Aber wenns sein muss.
Omma wirft die Blätter in das brutzelnde Fett und gießt Wasser obendruf. Aber nicht zu viel.
Ich: Und wie lange muss das kochen?
Omma: Bis es fertig ist natürlich.
Zwei Stunden später geht es wieder in die Küche. Wir schälen Kartoffeln und würfeln die, außerdem werden Mettwürstchen bereit gelegt.
Ich: Wie viele Kartoffeln kommen da jetzt rein?
Omma: So viel wie reingehört. Nicht zu viel, dann schmeckt es nicht genug nach Grünkohl, aber auch nicht zu wenig, sonst wird es zu bitter.
Ich (ratlos): Aha…
Die Kartoffeln kommen rein, die Mettwürstchen ebenfalls. Omma streut Salz und Pfeffer drüber.
Omma: Und jetzt noch mal kochen lassen. Dann ist fertig.

Also, um das Ganze zusammenzufassen: Es kommt eine unbestimmte Menge Kartoffeln auf eine unbestimmte Menge Grünkohl und wird in einer unbestimmtem Menge Wasser gekocht. Nicht zu viel, sonst wird es wässrig und nicht zu wenig, sonst reicht es nicht. Irgendein Fett als Geschmacksträger, man kann nach Belieben auch eine Zwiebel reinmachen. Muss aber nicht. Mettwurst, Bratwurst oder Frikadellen passen dazu, ein bisschen Salz und Pfeffer. Fertig. Ist doch ganz einfach.
Als ich das das erste Mal nachgekocht habe und mich beklagt habe, dass das Ganze nicht geschmeckt hat, hat Omma geschimpft: Du dummes Jedrisse, ich hab dir das doch genau gezeigt, wie das geht. Jo, Omma, hast du. Und genau so werde ich das weitergeben 🙂
Inzwischen kann ich es. Auch ohne Kochbuch. Aber ich muss ehrlich sein: es hat nie so geschmeckt wie bei Omma damals. Und was ich ihr nie verraten habe: Der Grünkohl bei der Omma meiner damals besten Freundin hat noch besser geschmeckt. Aber pssstt….